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1928: Sternbilder erhielten ihren verbindlichen Umriss

Unterstehender Text ist ein Artikel von Christian Pinter (Wikipedia, 2005) eingekürzt und Einteilung durch LB.

1922 Internationale Astronomische Union (IAU)

Gleich nach dem Ersten Weltkrieg gründen Himmelsforscher im belgischen Brüssel die Internationale Astronomische Union (IAU), um die Zusammenarbeit über irdische Grenzen hinweg zu fördern. Die IAU soll unter anderem dort, wo Standardisierungen nötig sind, als maßgebende Instanz wirken. Schon bei ihrem ersten Zusammentreten im Jahr 1922 schreibt die Generalversammlung der IAU den Bestand der Sternbilder fest. Niemand darf von nun an Konstellationen hinzufügen oder streichen.

Die Mehrzahl der uns vertrauten Sternbilder ist Tausende von Jahren alt. Oft griffen die Griechen Motive aus Mesopotamien auf, die sie dann mit eigenen Legenden verwoben. Ihre Figuren agieren meist miteinander, spielen Rollen in wahren Himmelsdramen:

Namen der 88 Sternbilder

48 griechische Konstellationen bilden das Rückgrat unseres Sternbilderhimmels. Seit dem 16. Jahrhundert vermehrten Astronomen den klassischen Bestand mit weiteren Figuren. Sie fügten diese in unbesetzt gebliebene Räume ein und hofften darauf, dass ihre Schöpfungen in neue, gute Sternkarten aufgenommen würden. Nur so bestand eine Chance auf allgemeine Anerkennung. Nicht selten wurden die jungen Kreationen von späteren Kartenzeichnern allerdings wieder eliminiert.

Das größte Niemandsland bildete die Region rund um den himmlischen Südpol, die den Griechen verborgen geblieben war. Ab 1595 bestückten die niederländischen Seefahrer Pieter Keyzer und Frederick de Houtman sie mit einem Dutzend neuer Bilder. Seither tummeln sich dort Vögel wie Pfau, Paradiesvogel, Tukan oder Kranich. Ab 1751 füllte Nicolas de Lacaille 14 weitere Lücken am Südhimmel auf. Er wählte dazu unter anderem Namen von Erfindungen seiner Epoche. Mit "Mikroskop", "Luftpumpe", "Fernrohr" oder "Pendeluhr" brach der Franzose radikal mit dem "zeitlosen" Charakter der kosmischen Bilderwelt.

Selbst am Nordhimmel gab es noch Lücken zu füllen. Wahrscheinlich war es Jakob Bartsch, der Schwiegersohn Keplers, der dazu Einhorn und Giraffe ersann. Der Danziger Astronom Johannes Hevelius erweiterte die himmlische Menagerie jedenfalls um Luchs, Füchse, Eidechse, Kleiner Löwe und Jagdhunde. Sein 1690 publizierter Atlas war dem polnischen König Johann III. Sobieski gewidmet, der die türkischen Belagerer vor Wien geschlagen hatte. Ihm schenkte Hevelius das Sternbild "Schild des Sobieski". Es wurde später entpolitisiert und zum schlichten "Schild".

Andere Ehrbezeugungen für Könige und Gönner hat die Zeit restlos getilgt - etwa die "Karlseiche", die "Georgsharfe" oder das "Brandenburgische Szepter". Johann Bodes "Luftballon", seine "Elektrisiermaschine" und die "Buchdruckerwerkstatt" existierten nur kurz. Auch die "Katze", das "Rentier" oder der "Kleine Krebs" zogen sich wieder vom Himmel zurück. Der "Mauerquadrant" löste sich gleichsam in Sternschnuppen auf: Einzige Erinnerung an dieses Bildchen sind die stets zu Jahresbeginn von dort ausstrahlenden Meteore, "Quadrantiden" genannt.

Tierfiguren wie Skorpion, Rabe oder Chamäleon bilden fast die Hälfte der 88 verbliebenen Sternbilder. Manche Bilder gibt es in zwei Versionen: Hund, Löwe und Bär treffen wir in großer und in kleiner Ausgabe an. Krone, Dreieck und Wasserschlange kennen ein Pendant am Südhimmel.

Grenzen der Konstellationen

Im Jahr 1922 sind Anzahl und Namen der Sternbilder endgültig normiert. Deren Grenzen sind jedoch noch nicht einheitlich gezogen und werden weiterhin freihändig gezeichnet. Jede Figur ist von einem unregelmäßigen Linienzug umschlossen, wobei die einzelnen Kartenwerke voneinander abweichen. Manche Sternchen landen, je nach Autor, einmal in diesem, dann wieder im benachbarten Sternbild. Der Belgier Eugene Delporte soll die Konstellationen verbindlich abzirkeln.

Die Staatsgrenzen seines Heimatlands folgen teilweise älteren Eigentumsgrenzen von mittelalterlichen Herzogtümern oder Kirchenländereien. Andere Nationen hingegen werden stärker von landschaftlichen Merkmalen wie Gebirgsketten oder Flüssen begrenzt. In Afrika haben Belgier und sonstige Kolonialherren territoriale Trennlinien nicht selten mit Bleistift und Lineal auf irgendein Papier gezeichnet. Dabei orientierten sie sich gern an den geografischen Längen- oder Breitenkreisen.

Im Umriss mancher Nationen ist diese Praxis bis heute zu erkennen. Die Form vieler US-Bundesstaaten ist so entstanden. Vorteil: Solche Grenzen muss man nicht mehr Punkt für Punkt definieren. Ein bisschen Geometrie genügt.

Im Vieleck eingesperrt

Diese Überlegung wendet Delporte nun auf die Himmelskugel an. Seit langem haben Astronomen sie mit einem Pendant zum irdischen Gradnetz überzogen. Die Deklinationskreise laufen parallel zum Himmelsäquator und ersetzen die irdischen Breitenkreise. Die Rektaszensionskreise entsprechen unseren Längenkreisen. Sie schneiden den Himmelsäquator stets im rechten Winkel. Dieses Netz nützt Delporte aus.

Wir platzieren auf einem Schachbrett unsere Hand und zeichnen in Gedanken deren Umriss nach. Dabei wollen wir ausschließlich den Kanten der belegten Felder folgen. Das Resultat wird ein Vieleck sein mit etlichen Seiten und Ecken. Ähnlich verfährt Delporte mit den Sternbildern, die er entlang von Deklinations- und Rektaszensionskreisen trennt. Dabei kommt er nur selten mit der einfachsten Figur, dem Viereck, aus. Meist muss er Umwege in Kauf nehmen, um nicht Bein, Arm, Haupt, Huf, Flügel oder Schwanz einer Figur zu kappen.

Um Pegasus einzufangen, benötigt Delporte 38 Seiten. Mit 50 Seiten besiegt er den Drachen nahe dem nördlichen Himmelspol. Die so umrissenen Sternbilder besitzen höchst unterschiedliche Ausdehnungen. Die Jungfrau breitet ihre Schwingen über ein beachtliches Areal aus, das Füllen erhält bloß einen bescheidenen Verschlag. Die riesige Wasserschlange könnte das kleine Kreuz des Südens gar 19 Mal verschlingen.

Der Schlangenträger stellt Asklepios (lat. Äskulap) dar, den griechischen Gott der Heilkunst. Er hält das Standeszeichen heutiger Ärzte in Händen. Doch seine Figur durchschneidet die himmlische Schlange, trennt sie in einen Kopf- und einen Schwanzteil. Deshalb besitzt Delportes Firmament nicht 88, sondern 89 Himmelsfelder. Niemandsland existiert jetzt keines mehr und auch Doppelstaatsbürgerschaften sind abgeschafft. Jeder Stern gehört ausschließlich einer Konstellation an.

Stern - nicht mehr in zwei Sternbilder

Seit 1603 tragen hellere Fixsterne "Vor- und Familiennamen". Einem griechischen Buchstaben folgt die lateinische Bezeichnung des Sternbilds, und zwar im Genitiv.

Einst war der Kopfstern der Andromeda gleichzeitig wichtiger Eckpunkt der Pegasus-Figur: Man nannte ihn "Alpha Andromedae" und "Delta Pegasi". Doch solche Zweideutigkeiten sind nicht mehr gestattet. Zu offiziellen Flügen muss das Musenpferd nun ohne diesen Stern aufsteigen.

Der Fußstern des Fuhrmanns (lat. Auriga) markierte früher zugleich die zweite Hornspitze des Stiers (Taurus). Amtlich gibt es "Gamma Aurigae" jetzt nicht mehr - die einzig gültige Bezeichnung ist "Beta Tauri".

Epoche

Auf Erden zählen wir die geografische Länge vom Nullmeridian aus, den man 1884 durch die Londoner Sternwarte in Greenwich legte. Am Himmel entspricht ihm jener Rektaszensionskreis, der durch den Frühlingspunkt läuft. Der wiederum ist Schnittpunkt von Himmelsäquator und Sonnenbahn. Heute liegt er im Sternbild der Fische, doch die langsame Bewegung der Erdachse schiebt ihn in Richtung Wassermann. In 26.000 Jahren wird er den gesamten Tierkreis durchlaufen haben. Gemeinsam mit dem Nullpunkt bewegt sich aber das gesamte himmlische Gradnetz.

Es ist, als trüge man die Sternwarte Greenwich ab, um sie in einigem Abstand wieder aufzubauen. Kaum steht der Rohbau, beginnt das Spiel von vorne.

Mit einem derart wandernden Nullmeridian müssten die geografischen Längen- und Breitenangaben von Wien und allen anderen Orten der Welt laufend neu berechnet werden. Definierte man Staatsgrenzen anhand solcher Koordinaten, zögen die Trennlinien unerbittlich über die Landschaft hinweg: Abertausende Menschen wechselten jährlich von einem Staat in den anderen, ohne auch nur einen Schritt zu tun.

Astronomen leben in einer solch seltsamen Welt. Ihr langsam dahinschreitender Frühlingspunkt verändert die Fixsternkoordinaten ständig. Positionsangaben machen deshalb nur unter Angabe des jeweiligen Bezugsdatums Sinn. Man nennt es "Epoche".

Grenzen aus 1875 werden zu den endgültigen Grenzen

Hätte Delporte seine Grenzen an die Stiefel bestimmter Rektaszensions- und Deklinationskreise geheftet, streiften die Himmelsfelder gemächlich über die sichtbaren Sternbilder hinweg: Ganze Heerscharen von Sternen müssten schließlich ihren amtlichen Himmelsbezirk gegen einen neuen tauschen. Deshalb friert Delporte die Grenzen ein. Er richtet sie rückwirkend an jenen Koordinaten aus, die am 1. Jänuar 1875 galten - sieben Jahre vor seiner Geburt. Doch warum wählt er ausgerechnet diese ferne Epoche?

Benjamin Goulds Vorarbeit

Der 1824 in Boston geborene Benjamin Gould hatte noch bei dem berühmten Mathematiker Carl Friedrich Gauß in Göttingen studiert. Später übernahm er die Leitung der neuen argentinischen Nationalsternwarte in Cordoba. Dort begann Gould eine Durchmusterung des Südhimmels, die er 1879 unter dem Titel "Uranometria Argentina" publizierte. In diesem Werk steckte der Amerikaner die Sternbilder rund um den himmlischen Südpol bereits nach Rektaszensions- und Deklinationskreisen ab. Die Koordinaten seiner Himmelsvermessung galten für 1875.

Weil Delporte die selbe Epoche wählt, kann er an Goulds Vorarbeit anschließen. Der komplette Linienzug des Belgiers erscheint 1930 unter dem Titel "Delimitation scientifique des constellations" und wird von der IAU für verbindlich erklärt.

Emigration im Lauf vieler Jahrtausende

Alle Sterne ziehen, wie unsere Sonne auch, um das Zentrum der Milchstraße. Ihre unterschiedlich raschen Reisegeschwindigkeiten verzerren das Antlitz der vertrauten Sternbilder im Lauf vieler Jahrtausende. Deshalb verlässt trotz eingefrorener Grenzen ab und zu doch ein Sternchen seine Heimat und emigriert in den Nachbarbezirk.

Nur selten trifft es einen helleren Stern: 1992 rückte "Rho Aquilae" vom Adler (lat.: Aquila) in den Delfin. In 400 Jahren wechselt "Gamma Caeli" aus dem Grabstichel (Caelum) in die Taube.

9.000 Jahre später wird die Andromeda ihren Kopf verlieren: Der ihr exklusiv zugesprochene Stern "Alpha Andromedae" zieht ironischerweise zurück ins Flügelpferd. Vielleicht nennt man ihn dann wieder "Delta Pegasi".

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