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Schön, phänomenologisch, didaktisch

Der nun schon seit 1996 erscheinende Sternen- und Planetenkalender der holländischen Astronomin Liesbeth Bisterbosch hat in seinem Erscheinungsbild schon mehrere Metamorphosen durchgemacht, ohne seinem Grundkonzept untreu zu werden: Auf nachtblauem Grund findet sich in großzügigem Querformat der Sternenhimmel – orientiert am Blick über den Erdenhorizont, vertreten durch einen Schattenriß einer niederländischen Landschaftssilhouette. Für jeden Monat finden sich neben einer großen Sternenkarte des Abendhimmels auch je eine Karte für den Himmel um Mitternacht und kurz vor Sonnenaufgang. Im Vergleich dieser drei Bilder zeigt sich der nächtliche Gang der Sterne und Planeten – und zwar immer im Verhältnis zur Sonne!

Die Sternbilder des Tierkreises werden durch gläsern anmutende Tierkreis-Figuren überlagert, die weniger das Vorstellungsleben ansprechen, als vielmehr in ihrer Durchsichtigkeit den Blick zu der Ahnung führen, daß mit jedem Tierkreisbild eine spezifische Qualität des Kosmos verbunden ist. Zusätzlich sind die Stellungen der Planeten durch farbige Punktsymbole sowie beim Mond zusätzlich seine Erscheinungsphasen wiedergegeben. In den kurzen Begleittexten wird auf den jeweilige Glanz der Planeten eingegangen, ihr Gang durch den Sternenhimmel skizziert und auf wichtige Himmelsereignisse hingewiesen. Auf der letzten Seite des Kalenders finden sich sechs sogenannte ‹Steifer- Nacken-Karten›, die der Orientierung am Himmelszelt dienen, sobald man sich nicht mehr am Erdenhorizont, sondern am Himmelszenit oder auch am Polarstern ausrichten will.

Zwölffarbig

Im dritten Jahr seines Erscheinens im Verlag Urachhaus weist der Kalender für 2006 eine Neuigkeit auf: Jeder Monatsname ist mit einem Farband unterlegt, dessen jeweilige Farbigkeit sich am Zwölfarbenkreis Rudolf Steiners (unter anderem auch für den eurythmischen Tierkreis) orientiert: Den hellen Monaten sind die hellen, deutlich zu unterscheidenden Farben (rot, orange, gelb, grün, blau) zugeordnet, und die dunklen Monate tragen Farben aus dem Purpurspektrum. Widder erhielt beispielweise das Rot, der Steinbock, der dem Krebs gegenübersteht (grün), das zarte Pfirsichblüt. Auf diese Weise wird man auch über die Farben in den von Monat zu Monat sich vollziehenden Stimmungswandel an die Hand genommen. Neu auch, dass die hellsten Sterne mit einer eigenen Farbe abgebildet, was die Orientierung am Sternenhimmel erheblich erleichtert.

Offenbares Geheimnis

Der tiefere Schatz dieses Kalenders offenbart sich bei seiner konkreten Anwendung. Sowohl die einführenden Erläuterungen zu Beginn und am Ende des Kalenders als auch die monatlichen Begleittexte verzichten vollständig auf Vorstellungen von wie auch immer gearteten, räumlich ausgebreiteten Planetensystemen. Es wird auch verzichtet auf (aufgrund von Konventionen berechenbaren) Uhrzeit-Angaben dazu, wann welcher Planet in welchem Sternbild einzutreten habe. Ebenso wird auf abstrakte Einteilungen wie etwa ‹Mond im Element Feuer›, auf Angaben zum Perigäum oder Apogäum des Mondes und so weiter verzichtet.

Stattdessen regt der Kalender durch seine Darstellungsweise zur selbständigen Beobachtung sowohl der sinnlichen Sternenerscheinungen als auch der eigenen Denkbewegungen an. Das Konzept des Kalenders gehorcht der Anforderung, sich bei allen Beobachtungen das eigene Verhältnis zur Welt deutlich vor Augen zu führen: Sinnlich für die Augen ergreifbar sind die Sternenpunkte am Himmel, ihre verschiedene Leuchtintensität und -art (zum Beispiel funkeln die Planetenlichter nicht im Gegensatz zu den Fixsternen). Solches gehört der physischen Welt an. Was aber durch das Denken von der Welt erfahren werden kann, ist eine ander Realitätsebene (die ätherische Welt), siehe Fussnot.

Indem bewußt vermieden wird, diese beiden Sphären zu vermischen – wie es unser gewöhnliches Alltagsbewußtsein indes gewohnt ist zu tun –, ist die Grundlage geschaffen für eine vorstellungsfreie Erfahrung und Beobachtung des Bewegungs- und Beziehungskosmos am Sternenhimmel kommen zu können.

Beispielsweise finden sich auf jeder der drei Sternen- Karten pro Monat verschiedene Stadien des Mondes. Auf der Abendkarte ist der Vollmond weit im Osten nahe am Horizont. Um Mitternacht findet sich der Vollmond hoch im Zenit und am frühen Morgen im Westen wieder nahe am Horizont. Das, was wir als verbindende Bewegung wie mitsehen, entspringt unserem Denken, nicht dem Sinneserleben. Mit denselben Karte kann aber auch erfahren werden, wie der zunehmende Mond von Südwesten beginnend am Abendhimmel immer höhere Stellungen zeigt, um vom Halbmond zum Vollmond wieder abzusteigen – gen Osthorizont. Der Vollmond ist also am Nachthimmel länger zu beobachten als die zunehmende Mondsichel, die kurz nach ihrem Erscheinen am Abendhimmel im Westen untergeht.

– All das sind Bewegungen, die sich unserem Denken erschließen! Das ist didaktisch ungewöhnlich und anregend zugleich, sind wir doch heutzutage allzu sehr daran gewöhnt, Informationen einfach entgegenzunehmen, anstatt sie sich erst selbst im eigenen anschauenden Denkvollzug zu bilden!

Ein weiteres Beispiel aus dem Erläuterungstext: «Die Sterne bewegen sich nicht nur im Laufe der Nacht von Osten nach Westen, sondern auch im Laufe der Monate. Ihr Platz auf ihrem Himmelsbogen verlagert sich immer mehr nach Westen (pro Monat 1/12 Kreisbogen, 30 Grad). Die Tierkreisbilder gehen pro Monat zwei Stunden früher auf und unter. Alle Sternbilder stehen einen Monat später um 22 Uhr etwa 30 Grad weiter westlich auf ihrem Himmelsbogen. Was bedeutet das für die Benutzung des Kalenders? Wenn Sie im Januar später am Abend zum Himmel aufschauen [...] benutzen Sie am besten das Abendbild vom Februar. Um Mitternacht nehmen Sie zum Kennenlernen der Sternbilder das Abendbild vom März.»

Kosmische Denkbewegung

Es wird Fakt an Fakt zusammengestellt, so daß sich im eigenen Denken der Zusammenhang ergeben und einleuchten kann. Das Denken wird zu kosmischen Bewegungen angeregt, was sich bis hin zu einer vorstellungsfreien Beobachtung beziehungsweise Erfahrung steigern kann. Damit wird auch der Sternenhimmel zu einem, den inneren Menschen erweckenden und bildenden sinnlich-übersinnlichen Erfahrungs- und Übungsfeld – und das aufgrund kosmischer Gesetzmäßigkeiten in einer ‹appetitanregenden› Aufmachung! Ein Stück Kosmos (= Ordnung, Schmuck, Glanz), das nicht nur die Zimmerwände schmückt, sondern auch den betrachtenden Menschen.

Hans-Christian Zehnter, 2006

Das Goetheanum Nr. 1/2 - 06, Seite 18

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